Kommentar |
Der Katholizismus, wie wir ihn kennen, ist eigentlich nicht zweitausend Jahre alt, sondern ein Produkt religionspolitischer Bewegungen und gezielter Strategien im frühen 19. Jahrhundert. Denn der Katholizismus (wie westliche Religionen überhaupt) erlebte in der ersten Globalisierung (ca. 1830-1914) eine radikale Umgestaltung, indem er sich gen Rom ausrichtete und papstfrömmiger wurde. Zeitgenossen sprachen von Ultramontanismus, von der Orientierung Richtung ultra montes, also jenseits der Alpen, wo der Papst saß. Als Höhepunkt dieser Entwicklung gilt das Unfehlbarkeitsdogma von 1870. Wer war verantwortlich für diesen Prozeß – der Papst oder die Gläubigen? Wie übersprang er nationale Grenzen? Welche transnationalen Verflechtungen sind auszumachen? In der Veranstaltung wird der Umgang mit globalgeschichtlichen Betrachtungsweisen und entsprechenden Quellen eingeübt. Die einführenden Seiten des Klassikers von Aubert sollten in der ersten Sitzung gelesen sein, damit wir rasch in die Diskussion einsteigen können. |
Literatur |
Literatur: Roger Aubert u.a., Die Kirche in der Gegenwart. Erster Halbbd.: Die Kirche zwischen Revolution und Restauration (= Hubert Jedin (Hg.), Hb. der Kirchengeschichte, Bd. VI), Freiburg 1971 (ND 1985), S. 103-185, 259-286, 311-347, 415-422, 507-550, 662-672, 738-796. Christopher A. Bayly, Die Geburt der modernen Welt. Eine Globalgeschichte 1780-1914, Frankfurt 2006, S. 400-450; Olaf Blaschke, Der Aufstieg des Papsttums aus dem Antiklerikalismus. Zur Dialektik von endogenen und exogenen Kräften der transnationalen Ultramontanisierung, in: RQ, Bd. 112, 2017, S. 60-73; ders. u. Francisco Javier Ramón Solans (Hg.), Weltreligion im Umbruch. Transnationale Perspektiven auf das Christentum in der Globalisierung des 19. Jahrhunderts, Frankfurt 2019; Karl Buchheim, Ultramontanismus und Demokratie. Der Weg der deutschen Katholiken im 19. Jahrhundert, München 1963; Christopher Clark u. Wolfram Kaiser (Hg.), Culture Wars. Secular-Catholic Conflict in Nineteenth-Century Europe, Cambridge 2003; Sebastian Conrad, Globalgeschichte. Eine Einführung, München 2013; ders. u.a. (Hg.), Globalgeschichte: Theorien, Ansätze, Themen, Frankfurt 2007; Lisa Dittrich, Antiklerikalismus in Europa. Öffentlichkeit und Säkularisierung in Frankreich, Spanien und Deutschland (1848–1914), Göttingen 2014; Gisela Fleckenstein u. Joachim Schmiedl (Hg.), Ultramontanismus. Tendenzen der Forschung. Paderborn 2005; Florian Huber, Grenzkatholizismen. Religion, Raum und Nation in Tirol 1830-1848, Göttingen 2017; Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München 2009, S. 1239-1278; ders., Die Flughöhe der Adler. Historische Essays zur globalen Gegenwart, München 2017; Vincent Viaene, International History, Religious History, Catholic History: Perspectives for Cross-Fertilization (1830-1914), in: EHQ 2008, S. 578-607; Hubert Wolf, Der Unfehlbare. Pius IX. und die Erfindung des Katholizismus im 19. Jahrhundert, München 2020. |