Kommentar |
Suburbane Einfamilienhausgebiete, die in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind, gehören zu den noch nicht deklarierten Erinnerungsorten der jungen Bundesrepublik: Sie stehen für die Utopie eines unbegrenzten ökonomischen Wachstums, für das Versprechen des fordistischen Klassenkompromisses, der Arbeiterschaft Aufstieg und Lebensweise nach bürgerlichem Vorbild zu ermöglichen, und für die patriarchale Geschlechterordnung einer Familie, die die Erfahrungen von Krieg und Gewalt überwunden hat und der nun, ausgestattet mit einem eigenen Auto, alle Konsum- und Bildungsmöglichkeiten offen stehen.
Diese Lebensweise und Siedlungsform ist von der öffentlichen Hand mit unterschiedlichen Instrumenten ökonomisch massiv gefördert worden, weil man sich vom „Familienheim“ (so die Bezeichnung im Zweiten Wohnungsbaugesetz von 1956) eine politisch befriedende Wirkung und eine gesellschaftlich verantwortungsbewußte Lebensweise in den Nachbarschaften versprach. Ungeachtet der bereits bekannten und dokumentierten Probleme ist das im Transformationsprozess ab 1990 in Ostdeutschland ein zweites Mal realisiert worden.
Im Fernsehen und im Kino zirkulieren seit der Entstehung der US-amerikanischen suburbs emblematische Bilder dieser Lebensweisen, und zwar sowohl als populärer Sehnsuchtsort wie als zusammenbrechende Idylle. Hinzu kommen ältere Ansichten, die Haus und Familie aufs engste zusammenbrachten, wie die Präsentation bäuerlicher Häuser auf den Weltausstellungen seit Mitte des 19. Jahrhunderts und in zahlreichen Freilichtmuseen oder Fertighausausstellungen unterschiedlicher Anbieter.
Nachdem die Ölkrise 1973 und ökologische Initiativen den selbstverständlichen, nachkolonialen Ressourcenzugriff auf Energie und Land beendet hatten, nachdem der demographische Wandel das Wachstumsprinzip in Frage stellte, und nachdem die neuen sozialen Bewegungen neue Lebensweisen und Wohnwünsche formuliert hatten, versuchte die Politik zögerlich, andere Bau- und Siedlungsweisen zu etablieren. Zugleich aber kommt es im Kontext sich wandelnder Wohlfahrtsregime nach dem Prinzip des asset-based welfare in unterschiedlichen nationalen Varianten zu neuen Anreizen für den Erwerb von Wohn- und Hauseigentum, womit insbesondere untere Einkommensschichten als Hypothekenmärkte entwickelt werden sollen. Daraus ergibt sich in der BRD die widersprüchliche Situation, dass leerstehende ältere Einfamilienhausgebiete und Neubausiedlungen oft nahe beieinander liegen.
Das suburbane Einfamilienhaus ist ein materielles Erbe der Boomjahre der Ölmoderne, und es ist ein kulturelles und soziales Erbe der Lebenserfahrung der Nachkriegsgenerationen. Als gebaute Sozialontologie ist es ein exquisiter Gegenstand für eine kulturanthropologische Herangehensweise, die ermitteln will, wie Menschen Wünsche und Ideale entwickeln, wie soziale Ordnungen und kulturelle Formen entstehen, welches Macht-Wissen damit verbunden ist, und welche Medien das überliefern und transformieren. |
Literatur |
Eibach, Joachim et al. (Hg.): Das Haus in der Geschichte Europas. Ein Handbuch, Berlin 2015.
Keil, Roger (Hg.): Suburban Constellations. Governance, Land, and Infrastructure in the 21st Century. Berlin 2013.
Miller Lane, Barbara (Hg.): Housing and Dwelling. Perspectives on Modern Domestic Architecture. New York 2007. |
Voraussetzungen |
Eine verbindliche Anmeldung der Lehrveranstaltung mit Name, Vorname, Matrikel-Nr. und Veranstaltungs-Nr. erfolgt per E-Mail an volkskunde.institut@uni-muenster.de (im Geschäftszimmer bei Frau Winkler) bis zum 15. März 2017.
Es sind nur begrenzt Seminarplätze vorhanden (s. max. Teilnehmerzahl oben). Sobald die Anmeldeliste voll ist, werden weitere Anmeldungen auf die Nachrückerliste gesetzt.
Falls Sie an der Lehrveranstaltung doch nicht teilnehmen können, melden Sie sich bitte ebenfalls bis zum 15. März 2017 wieder ab, damit der Platz neu vergeben werden kann. |