Kommentar |
Literatur und Spiel sind engverzahnt. Neben Formen eines literarischen Spiels und der Darstellung von Spielformen wird, prominent im Kriminalroman, die Rätsellösung zusätzlich in Form eines Deduktionsauftrags sowohl an die Ermittlerfigur als auch phänomenologisch an die Rezipientenseite addressiert. In anderen Medienformen wie Theater, Film und Hörspiel steht (unter jeweils unterschiedlichen semiotischen Vor-Zeichen) das Schauspiel im Zentrum produktionstechnischer Bedingungen. Zudem wurden narrative Texte im Laufe des 20. Jahrhundert graduell ‚ludisiert‘ – und damit interaktiv erleb- und modellierbar: ‚Choose your own adventure‘-Bücher überlassen den Leser*innen die Entscheidungshoheit über Verlauf und Ausgang der Geschichte, ‚interactive fiction‘ und Videospiel ermöglichten schon in den 1970er Jahren eine kommunikative Interaktion zwischen Rezipient*innen und dem literarischen Text. Meta-Filme, unzuverlässige Erzählungen und medienreflexive Comics erweitern ‚spielerisch‘ Begriff und Definition von Literatur – während Rätsel und andere Spielformen häufig als intradiegetisches plot device fungieren. Auch andere moderne Medienformen wie das Musikvideo oder der Comic spielen nicht nur mit ihrer polysemiotischen Struktur, sondern verhandeln häufig metareflexiv multi- und transmediale Textordnungen theoretisch und/oder beziehen sich in ihrer filmischen oder lyrischen Darstellung auf das Spiel als Kulturobjekt. Spätestens Computer- und Videospiele bilden eine Art semiotisches Gesamtkunstwerk, wenn sie Schrifttext, filmische Darstellung, Musik und ludische Interaktion kombinieren, spielerisch im Pastiche-Verfahren auf Retro-Phänomene referieren oder die Spieler*innen wiederum zum Spielobjekt umfunktionalisieren, indem Rezeptionserfahrungen auf mehreren semiotischen Ebenen irritiert werden.
Das Kolloquium setzt die Diskussion aktueller literatur-, kultur- und mediensemiotischer Forschung des vergangenen Semesters fort (und ist zugleich offen für einen Neueinstieg). Der diessemestrige Themenschwerpunkt widmet sich, unter kritischer Revision kulturwissenschaftlicher ‚Ludologie‘, dem ‚Spiel der Zeichen‘ in Literatur und Medien. Exemplarisch betrachtet werden sollen ‚Texte‘ aus den Bereichen Literatur, Film, Musikvideo, Comic, Brett- und Video-/Computerspiel.
Vorbereitend sollten für die erste Sitzung folgende Texte (zugänglich über den Learnweb-Kurs) gelesen werden: *Johan Huizinga: „Wesen und Bedeutung des Spiels als Kulturerscheinung“, in: Ders.: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel, Reinbek bei Hamburg: 23. Auflage Rowohlt 2013 [1938], S. 9-37 *Christine Hanke/Felix Raczkowski: „Spielen. Einleitung in den Schwerpunkt“, in: Zeitschrift für Medienwissenschaft“25/2 (2021), S. 10-15. *Winfried Nöth: „Evolution der Semiose“, in: Ders.: Handbuch der Semiotik, 2. Aufl. Stuttgart/Weimar: Metzler 2000, S. 273-281 |