Kommentar |
Wahrheit oder Lüge? Diese Frage hat im öffentlichen Diskurs derzeit Konjunktur. Besondere politische Sprengkraft gewinnt der Umgang mit historischen Wahrheiten gerade im Krieg gegen die Ukraine, in dem historische Vergleiche und Argumente als zentrales Instrument der politischen Legitimation genutzt werden. Allerdings sind historische Deutungs- und erinnerungskulturelle Wahrheitskonkurrenzen beim Umgang mit diktatorischen aber auch postkolonialen Vergangenheiten keine Ausnahme, sondern vielmehr eine wesentliche Signatur unserer Gegenwartsgesellschaft. Konkurrierende Deutungen und Wahrheitsbehauptungen manifestieren sich in lokalen oder nationalen Straßennamens-, Denkmals- oder Museumsdebatten ebenso wie in internationalen Gesetzes-, Wiedergutmachungs- und Restitutionsinitiativen. Hier verhandeln nicht allein Historiker*innen, sondern Repräsentant*innen aus Politik, Wissenschaft, Bildung und Verwaltung sowie zivilgesellschaftliche Akteure und Gruppen nicht nur die Anerkennung historischer Deutungen und Narrative. Sie konkurrieren auch um den Zugang zu Archiven und um eine Repräsentation in Museen und Schulgeschichtsbüchern. Zudem nutzen Akteur*innen unterschiedliche Medien und Strategien der Glaubwürdigkeitserzeugung, um ihre Deutungen zu verbreiten und ihnen öffentlich Anerkennung zu verschaffen. Wahrheits- und Erinnerungskonflikte gewinnen insbesondere in gesellschaftlichen Umbruchs- und Transformationsprozessen an Bedeutung, denn dann werden Masternarrative und Routinen der historischen Wahrheitsproduktion in Frage gestellt und konkurrierende Wahrheitsansprüche als Fragen von Dominanz und Teilhabe öffentlich verhandelt. Dies zeigt sich derzeit beispielsweise in Debatten zur Restitution afrikanischer Kulturgüter ebenso wie in Diskursen zur musealen Repräsentation von Migrationsgeschichte(n).
Vor dem Hintergrund der aktuellen geschichtspolitischen und erinnerungskulturellen Entwicklungen sollen im Rahmen des Hauptseminars Kategorien und Methoden zur Analyse historischer Wahrheitskonkurrenzen entwickelt und erprobt sowie durch Analyse historischer und aktueller Beispiele aus Deutschland und Frankreich systematisierende Einsichten in Funktionen und Strukturen ‚historischer Wahrheitskonkurrenzen” gewonnen werden. |
Literatur |
Sarr, Felwine/ Savoy, Bénédicte, Zurückgeben. Über die Restitution afrikanischer Kulturgüter. Bonn 2020.
Frese, Matthias/Marcus Weidner (Hrsg.), Verhandelte Erinnerungen. Der Umgang mit Ehrungen, Denkmälern und Gedenkorten nach 1945, Paderborn 2017.
Große Kracht, Klaus/Jessen, Ralph/Sabrow, Martin (Hrsg.), Zeitgeschichte als Streitgeschichte. Große Kontroversen seit 1945, München 2003.
Etienne Francois, Kornelia Konczal, Robert Traba u. Stefan Troebst (Hrsg.): Geschichtspolitik in Europa seit 1989. Deutschland, Frankreich und Polen im internationalen Vergleich. Göttingen 2013.
Wüstenberg, Jenny: Zivilgesellschaft und Erinnerungspolitik in Deutschland seit 1945. Bonn 2020. |
Bemerkung |
Bitte beachten Sie die Informationen zum Anmeldeverfahren unter https://www.uni-muenster.de/Geschichte/hist-dida/studium/anmeldeverfahrenfuerdieseminare/index.html.
Die Anmeldephase zum Wintersemester 22/23 zu den Pro-, Haupt- und Masterseminaren sowie den Übungen findet elektronisch statt. Die Teilnahme wird durch ein auf Wahlgängen beruhendes Verteilverfahren geregelt.
Der Wahlgang erfolgt in HISLSF vom 27.6.2022 bis zum 15.7.2022 12 Uhr. Es müssen stets drei Wünsche aus einer Epoche je Lehrveranstaltungstyp bzw. Modul angegeben werden. Sollten Studierende mehr als eine Übung belegen wollen, müssen dementsprechend sechs Übungen gewählt werden.
Nach Ende des Anmeldephase werden die Ergebnisse in der zweiten Julihälfte veröffentlicht. Eine Bestätigung der Annahme des Seminarplatzes ist dann bis zum 31.8.2022 in Sesam nötig.
Hochschulwechsler melden sich bitte bei Dr. Eva Baumkamp oder Dr. Thomas Tippach für die Seminarplatzvergabe. |