Kommentar |
Würdenträger erkennt man in der Regel an ihrem Äußeren: einer Amtskette, einem Talar, einer eigenartigen, in einer besonderen Farbe gehaltenen Kopfbedeckung, einer Krone oder anderen so genannten Insignien. Ihre Würde ist etwas ihnen Äußerliches. Sie wurde ihnen verliehen, weil sie beispielsweise bestimmte Eigenschaften besitzen, bestimmte Leistungen erbracht haben oder bestimmten Anforderungen genügen. Ihre Würde kann zeitlich befristet sein oder ihnen unter bestimmten Umständen wieder entzogen werden. Ihre Würde beruht letztlich auf der Geltung bestimmter gesellschaftlicher Konventionen.
Wer andererseits eine schwere Krankheit, den eigenen unmittelbar bevorstehenden Tod oder den Verlust eines geliebten Menschen mit Würde zu tragen weiß, auch dem wird diese Art, sich unter solchen Umständen so zu verhalten, nicht in die Wiege gelegt. Vielleicht wurde sie ihm anerzogen, vielleicht hat er sie im Laufe seines weiteren Lebens gelernt oder lernen müssen. Auch diese Art von Würde ist letztlich etwas der betreffenden Person Äußerliches; schließlich kann man auch einmal die Fassung verlieren.
Ganz anders – so scheint es zumindest, wenn man der Mehrzahl der Juristen und Moralphilosophen Glauben schenken darf – verhält es sich mit der Würde des Menschen. Sie gilt, je nach Quelle, als etwas Absolutes, Unbedingtes, Unantastbares, der Verfügung des Menschen Entzogenes. Und sie kommt allen Menschen, unabhängig von Gruppen- oder Staatsangehörigkeit, von Rasse oder Geschlecht, allein aufgrund ihres Menschseins gleichermaßen zu; sie gilt geographisch ebenso wie historisch uneingeschränkt und ist unverlierbar. Diese Form der Würde taucht an prominenter Stelle erstmals 1945 in der Präambel der Charta der Vereinten Nationen, dann 1948 in der Allgemeinen Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen und wenig später im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland auf.
In vielen gesamtgesellschaftlich relevanten Debatten, wie etwa über die embryonale Stammzellenforschung, über gentechnische Eingriffe in den Menschen, über Abtreibung oder die Sterbehilfe, spielt die „Würde des Menschen” als „oberster Wert”, „höchstes Rechtsgut” und Wert von höchster moralischer Bedeutung eine herausragende Rolle. Fragt man sich jedoch, worin diese „Würde des Menschen” über ihren Status als höchster Wert in Recht und Moral hinaus genau besteht, stellt man verblüfft fest, dass das alles andere als klar ist. Die inhaltliche Bestimmung des Begriffs der „Menschenwürde”, und damit auch sein Anwendungsbereich, ist, bis hin zu der Auffassung, der Begriff sei unbrauchbar, weil in sich widersprüchlich oder inhaltlich leer, sowohl in der Rechtswissenschaft als auch in der Philosophie umstritten. Das scheint mir Grund genug zu sein, sich einmal seine Geschichte und seine gegenwärtige Deutung in Rechtswissenschaft und Moralphilosophie genauer anzusehen.
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