Kommentar |
Seit jeher zählt der Fragment gebliebene „Tristan“ Gottfrieds von Straßburg zu den umstrittensten Texten der mittelhochdeutschen Literatur. Für Heinrich Heine war der Roman das „schönste Gedicht des Mittelalters“, Jacob Grimm sah in ihm hingegen „etwas störendes und eine gewisse künstliche zusammenhanglosigkeit“. Diese so unterschiedliche Bewertung des 19. Jahrhunderts resultiert nicht zuletzt aus dem Text selbst, der die Geschichte von Ehebruch und Liebe, Treue und Betrug überaus facettenreich und voller Widersprüche erzählt. Im Seminar soll gezielt diesen Widersprüchlichkeiten in Geschichte und Erzählung nachgegangen werden. Die alle Normen und Konventionen der Gesellschaft überschreitende Liebe von Tristan und Isolde steht dabei im Zentrum der Lektüre des mittelhochdeutschen Romans. Fragen nach der Konstitution höfischer Kultur, nach Liebe und Kommunikation geraten hierbei ebenso in den Blick wie solche nach Identität und Verstellung. Letztlich zeigen sich Ambivalenzen auch innerhalb des Erzählens selbst, so im Umgang etwa mit Mythos, Religion und Kunst. Nicht von ungefähr hat die Geschichte von Tristan und Isolde immer wieder zu künstlerischen Auseinandersetzungen bis in die Moderne herausgefordert.
Dem Seminar ist ein obligatorischer Übungsteil zugeordnet, der es in methodischer und praktischer Hinsicht ergänzt. Im Seminar besprochene Einzelaspekte können dabei vertieft, verfolgte wissenschaftliche Ansätze und Methoden darüber hinaus kritisch reflektiert und auf ihren Ertrag hin hinterfragt werden. Im Zentrum wird dabei stets die eigene praktische Arbeit stehen. In gemeinsamer Auseinandersetzung mit der Vorbereitung, Durchführung und Präsentation von Referaten und Hausarbeiten sollen Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens eingeübt und gefestigt werden. Voraussetzung für die Teilnahme am Seminar ist die Bereitschaft, sich regelmäßig und aktiv im Rahmen von Arbeitsgruppen an Seminar und Übung zu beteiligen.
Textgrundlage (zur Anschaffung und Lektüre bis Semesterbeginn dringend empfohlen): Gottfried von Straßburg: Tristan. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu hrsg., ins Neuhochdeutsche übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn. 3 Bde. Stuttgart 2017 (= RUB 4471–4473) ISBN 978-3-15-030057-2. Zur Vorbereitung und begleitenden Lektüre wird zudem empfohlen: Christoph Huber: Gottfried von Straßburg: Tristan. 3. neu bearbeitete und erweiterte Aufl. Berlin 2013 (= Klassiker-Lektüren. 3). |