Kommentar |
Aus Sicht einer neueren Medienkulturwissenschaft nimmt der Mensch und die wechselseitige Konditionierung von menschlicher ‚Natur‘ und ‚Kultur‘ seit der ‚anthropologischen Wende‘ im Laufe des 18. Jahrhundert eine zunehmend gewichtige interdiskursive Stellung im Denken der Moderne ein – und einhergehend damit auch die Beschäftigung mit innersubjektiven bzw. psychischen Vorgängen wie Traum und Träumen in gegenüber früheren Ansätzen umgestellter Perspektivierung.
Der letztere Phänomenbereich wurde im Zuge dessen nicht allein vermehrt in theoretischen Arbeiten aufgearbeitet – etwa in Schuberts Symbolik des Traums (1814) oder ganz prominent in Freuds Traumdeutung (1900), Jungs Beziehungen zwischen dem Ich und dem Unbewussten (1928), Piagets Nachahmung, Spiel und Traum (1945/59) und Blochs Prinzip Hoffnung (1954 ff.) –, auch in ästhetischer Kommunikation und Epistemologie spielen Traumdarstellungen eine eminent wichtige Rolle zur Aushandlung anthropologischer Problem- und Fragestellungen, die mit Konzepten der ‚Person‘-Konstitution in engem Zusammenhang stehen: Wie stellen sich Träume dar? Welche Funktionen erfüllen sie für das Subjekt, die Verarbeitung seiner Eindrücke, seines Fühlens, Denkens und Handelns? Wie wird ‚Person‘ in psychologischer Hinsicht aufgefasst und modelliert? Mit Blick auf ästhetische Formen: Wie wird das Onirische – das heißt Träumen (im Wachen und Schlafen), Visionieren, Halluzinieren usw. – diskursiviert und medial wie künstlerisch verarbeitet und funktional in den Bedeutungsaufbau von Texten eingebunden?
Das Seminar geht diesen Gesichtspunkten und Fragen nach und ist historisch wie systematisch aufgezogen. Zum einen besteht ein Anliegen darin, semiotisch fundierte Zugänge zum Phänomen zu legen – kategorial zu konturieren und theoretisch zu fundieren wären Aspekte der Semiotisierung und Zeichenhaftigkeit des Traums und der Figur/‚Person‘ sowie von ‚Innerlichkeit‘, der (narrativen) Introspektion, der Perspektivik, der diegetischen Ebenenstrukturierung, der künstlerischen Wissensdiskursivierung usw. –; zum anderen soll schlaglichtartig eine ‚Geschichte der Traumfiktion‘ vom frühen 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart in Literatur und Film nachvollzogen werden: Darstellungen der Romantik, des Realismus, der Frühen Moderne, bis hin zur Post- und Metamoderne sollen hier Berücksichtigung finden.
Zu diesem Zweck werden …
- Grundlagen der Semiotik und Medienkulturwissenschaft aufgearbeitet und auf den Gegenstandsbereich abgestimmt,
- Texte in Einzelanalysen (im Rahmen von Impulspapieren) einerseits auf die vorliegende Spezifik von Traumdarstellungen hin überprüft und andererseits mit dem jeweiligen kulturellen Wissen der Entstehungszeit in Beziehung gesetzt, um so eine denkgeschichtliche Dimension zu eröffnen, sowie
- die Kunstformen ‚Literatur‘ und ‚Film‘ als Leitmedien des ästhetischen Traumdiskurses und Repräsentationen einer ‚Medienkulturgeschichte des Traums‘ einbezogen. Im Fokus sollen hierbei Texte und Medienprodukte stehen – dies ein Auswahlkriterium für die Zusammenstellung des Korpus –, in denen der Traum ein textkonstitutives, das heißt strukturbildendes und relevantes Merkmal der Bedeutungskonstituierung darstellt.
Interessent:innen werden gebeten, sich bis spätestens zum 16.09.2022 persönlich bei Herrn PD Dr. Stephan Brössel für das Seminar anzumelden. Es werden dann ein Seminarplan kursieren und Arbeitssektionen wählbar sein. Die Zeit bis Semesterbeginn dient der gezielteren Vorbereitung des eigenen Themas und der Papiere. Genauere Informationen erfolgen in der Sprechstunde sowie in der ersten Sitzung.
Interessent:innen, die noch keine "Einführung in die Filmanalyse" absolviert haben, melden sich bitte bei Herrn Niklas Lotz (n_lotz02@uni-muenster.de) für das digitale Tutorium an und durchlaufen es bis spätestens zu Semesterbeginn. Ein entsprechendes filmanalytisches Basiswissen wird vorausgesetzt und in der ersten Sitzung abgefragt. |
Literatur |
Vorzubereiten sind:
- Alt, Peter André: Der Schlaf der Vernunft. Literatur und Traum in der Kulturgeschichte der Neuzeit. München 2002.
- Kosenina, Alexander: Traum und Schlafwandeln. In: Ders.: Literarische Anthropologie. Die Neuentdeckung des Menschen. 2008, S. 177–192.
- Krah, Hans: Leitmedium Film – av-Medien. In: Ders./Michael Titzmann: Medien und Kommunikation. Eine Einführung aus semiotischer Perspektive. Passau 2017, S. 309–330.
- Lukas, Wolfgang/Claus-Michael Ort: Literarische Anthropologie der 'Goethezeit' als Problem- und Wissensgeschichte. In: Michael Titzmann: Anthropologie der Goethezeit. Studien zur Literatur und Wissensgeschichte. Berlin/Boston 2012, S. 1–28.
- Titzmann, Michael: „Semiotische Aspekte der Literaturwissenschaft: Literatursemiotik”. In: Semiotik. Ein Handbuch zu den zeichentheoretischen Grundlagen von Natur und Kultur. Berlin 2004, S. 3028–3103.
- Wagner-Egelhaaf, Martina: Traum – Text – Kultur. Zur literarischen Anthropologie des Traumes. In: Gerhard Neumann (Hg.): Poststrukturalismus. Herausforderungen an die Literaturwissenschaft. Stuttgart/Weimar 1997, S. 123–144.
- Wulff, Hans J.: Intentionalität, Modalität, Subjektivität: Der Filmtraum. In: Dieterle, Bernhard (Hrsg.): Träumungen. Traumerzählung in Film und Literatur. St. Augustin 2002, S. 53-69.
- Wulff, Hans J.: Traum im Film. In: Koebner, Thomas (Hrsg.): Reclams Sachwörterbuch des Films. Stuttgart 2002, S. 625–629.
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Bemerkung |
Sprache-Literatur-Kultur: Offene Veranstaltungen für Fachmasterstudierende des FB 09: LE 1, Le 2, LE 3, KE 4, KV 2
Anmeldung für diese Studierendengruppe direkt beim Dozenten. |