Kommentar |
Um 1900 wird die Dichtung dunkel. Diese Dunkelheit ist weniger der immer anspruchsvoller werdenden Diskursumwelt geschuldet, etwa Fortschritten in Technik oder Wissenschaft, die literarisch zu gestalten wären. Sie ist ein ästhetisches Programm. Hofmannsthal z.B. sieht in seinem Lebenslied ein Grundmodell für „völlige Unverständlichkeit“, Trakls Lyrik ist zum Beispielfall für literarische Hermetik überhaupt geworden. Symbolismus und Expressionismus arbeiten dabei gezielt am Abbau jener realistischen Semantik, die sich in den 1880er Jahren aus dem Feld der ‚Hochkultur‘ – dem Poetischen Realismus – zunehmend in populäre Gattungen verlagert hat. Wo Abenteuer-, Kolportage- oder wissenschaftliche Erzählungen die Fülle zeitgenössischer Diskurse für den literarischen Diskurs erschließen, inszeniert die Avantgarde der literarischen Moderne Sprachkrisen, Verrätselungen, Exotismen oder künstliche Paradiese, ruft zum ‚Neuen Sehen‘ auf und produziert bisweilen – wie im DADA – Klamauk. Warum? Was motiviert die ‚Exklusivität der Eingeweihten‘, wie sie Hofmannsthal und der George-Kreis vertreten, oder den von der Emphatischen Moderne angestrebten Durchbruch zur ‚Primärwirklichkeit‘? Das Seminar erkundet einerseits das Selbstverständnis dieser Gruppen, die Carl Einstein selbstironisch „Dilettanten des Wunders“ nennt. Es fragt nach den Verfahren, die zu dieser antihermeneutischen „Textur“ (so Moritz Baßler) führen und erwägt zugleich, ob sich die Dunkelheit der Werke Einsteins, Trakls oder Henriette Hardenbergs nicht doch verstehen lässt: als Ausdruck eines zeitgenössischen Dispositivs des ‚anderen‘, alternativen Wissens. |